Es war einmal ein Hutmacher. Er lebte in einem beschaulichen Dorf. Am grossen Marktplatz lag sein Hutgeschäft. Dieses war ihm Arbeitsstätte und Wohnort zugleich. Er war ein begabter Hutmacher. Seine Hüte waren von ausgezeichneter Qualität und hielten oft länger als ein Menschenleben lang war. Auf der anderen Seite des Marktplatzes wohnte ein kleines Mädchen. So oft wie möglich, war es im Laden des Hutmachers anzutreffen. Das Mädchen mochte die gemütliche Atmosphäre, liebte den Duft nach Stoffen und Leder und genoss das Zusammensein mit dem Hutmacher. Dieser war ein ruhiger, besonnener Mensch und hatte immer wieder eine lustige Geschichte auf Lager, die er gerne zum Besten gab. Dann lachten beide von ganzem Herzen.
Eines Tages kam ein kleiner Mann in das Geschäft. Er war kaum grösser als das Mädchen und sehr verzweifelt. Er sei der neue Zirkusdirektor und in drei Tagen stehe ihm sein erster grosser Auftritt bevor. Nun habe ihn die Angst gepackt. Er sei doch viel zu klein für einen richtigen Zirkusdirektor. Der Hutmacher hörte geduldig und teilnahmsvoll zu, überlegte und wusste Rat. Er versprach, dem Zirkusdirektor bis in drei Tagen einen so hohen Zylinder anzufertigen, dass man ihn auch von der hintersten Publikumsreihe aus ohne Probleme sehen könne. Der angehende Zirkusdirektor kehrte drei Tage später erwartungsvoll in das Geschäft zurück. Der tiefschwarz glänzende Zylinder war so hoch wie die Welt noch keinen zuvor gesehen hatte. Der kleine Mann setzte ihn sich auf, stellte sich vor den Spiegel und war sehr zufrieden. Der Hut verlieh ihm die nötige Grösse, um an diesem Abend das erste Mal vor sein Publikum zu treten. Unter endlosen Dankesbekundungen verliess er den Laden.
Vom hölzernen Arbeitstisch aus, auf welchem das Mädchen mit gekreuzten Beinen sass und an einem Stück Apfel knabberte, beobachtete das kleine Mädchen die Szene fasziniert.
Ein paar Tage später kündigte die Ladenglocke kurz vor Mittag eine neue Kundin an. Es war eine schlanke, gross gewachsene Frau. Für das bevorstehende erste Treffen mit ihrem Auserwählten war sie auf der Suche nach einem passenden Hut. Sie fühle sich so unbedeutend und unsicher und brauche etwas, das ihr das nötige Selbstbewusstsein gebe. Der Hutmacher führte sie zu den farbenfrohen Damenhüten, griff nach einem dunkelroten, raffiniert geschnittenen Glockenhut und reichte ihn der Dame. Diese setzte ihn auf, trat vor den Spiegel und plötzlich nahm die Freude über das bevorstehende Treffen mit ihrem Liebsten überhand. Glücklich und beschwingt verliess sie das Geschäft.
Das kleine Mädchen war einmal mehr wie gebannt von der Verwandlung, die sich an den Kunden des Hutmachers vollzogen, sobald sie einen seiner Hüte aufsetzten.
Ein paar Wochen später stürzte es mit den Worten: „Ich brauche auch einen Mut!“ in den Laden des Hutmachers. Dieser meinte: „Du meinst einen Hut. Für was brauchst du denn einen Hut?“ „Nein, keinen Hut, einen Mut!“ entgegnete das kleine Mädchen mit vor Aufregung geröteten Wangen. „Was ist denn ein Mut?“ erkundigte sich der Hutmacher. „Das ist das, was du den Leuten immer gibst, wenn sie in deinen Laden kommen! Und so was brauch ich jetzt auch – ganz dringend!“ „Aha, na dann… Für was brauchst du denn den Mut?“ „Nächste Woche fängt die Schule an und dort kenne ich niemanden und ich habe Angst, dass mich der Lehrer nicht mag und wer weiss, vielleicht finde ich auch gar keine Freunde! Und noch viel schlimmer- vielleicht bin ich zu dumm zum lernen…“ Das kleine Mädchen war nun den Tränen nahe. Hilfesuchend blickte es den Hutmacher an, der es hochhob und vor sich auf den Arbeitstisch setzte. „Mhmmm- mal sehn was da für ein Mut passen könnte. Das muss in der Tat ein recht grosser Mut sein…“ Da hatte er eine Idee: „Wie wäre es, wenn du dir deinen Mut selber machen würdest?“ „Selber machen?! Wie denn das?“ Nachdem der Hutmacher dem kleinen Mädchen versichert hatte, dass er ihm helfen würde zeigte er ihm die verschiedenen Formen für Hüte. Sie entschieden sich für eine Ballonmütze mit Stoffen in verschiedenen Blautönen. In den folgenden Tagen nähte das kleine Mädchen in jeder freien Minute mit Feuereifer an seiner Mütze. Der Hutmacher half, wo es Hilfe brauchte. Dabei malten sie sich gemeinsam aus, wie es mit dieser Mütze auf dem Kopf am Tag des Schulbeginns hoch erhobenen Hauptes über den Schulhof, die Treppe hinauf und ins Klassenzimmer gehen würde. Was es da wohl alles lernen würde? Die Angst keine Freunde zu finden verschwand zusehends und von Stich zu Stich traute es sich diesen grossen Tag immer mehr zu.
Endlich war sie fertig, die Mütze. Das kleine Mädchen setzte sie sich auf den Kopf, drehte und wendete sich stolz vor dem Spiegel und strahlte über das ganze Gesicht. Die Hände in die Hüften gestemmt stellte es fest: „So, nun bin ich bereit!“. Darauf umarmte es den Hutmacher und stürmte aus dem Laden.
Nach dem ersten Schultag führte der Heimweg das kleine Mädchen beim Hutmacher vorbei. Es trat ein, erzählte von all dem Neuen und meinte am Schluss: „So, jetzt müssen wir noch dein Ladenschild draussen ändern.“ „Warum denn ändern? Da steht Hutgeschäft darauf und genau das finden die Menschen hier drin bei mir.“ „Ja schon, es ist ja auch nicht ganz falsch“, entgegnete das Mädchen, „aber weißt du, eigentlich bist du viel mehr ein Mutmacher.“
Und so wurde aus dem Hutmacher ein hutmachender Mutmacher.